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Praxisinterview Bremen

Es gibt Dinge, wie das Theater, die kann man nur im Tun verstehen

In Bremerhaven werden Mittel für unbesetzte Lehrkraftstellen im Rahmen des Projekts „Theater-Ja!“ an die Theaterpädagogik des Jungen Theaters in Bremerhaven gegeben. Sie erledigen nun die Arbeit an Bremerhavener Ganztagsschulen, die sonst Lehrkräfte übernommen hätten: Theaterangebote für Schüler:innen. Diese besondere Kooperation zwischen Schulamt und Stadttheater ermöglicht vielen jungen Bremerhavener:innen erste Kontakte mit dem Theater.

Bianca Sue Henne ist Leiterin des Jungen Theaters in Bremerhaven. Das Haus macht Theaterarbeit für junges Publikum und erfüllt die Aufgaben einer Theaterpädagogik für alle Sparten des Stadttheaters in Bremerhaven. Für sie ist das Projekt „Theater-Ja!“ eine hervorragende Form der Kooperation zwischen Bildung und Kultur, die sie unbedingt zum Nachahmen empfiehlt.

Florian von Zameck-Glyscinski führt verschiedene Theaterangebote für Schulen in dem Projekt „Theater-Ja!“ durch. Als Theaterpädagoge übernimmt er zudem weitere Aufgaben im Bereich der Theatervermittlung des Jungen Theaters, er wertschätzt den offenen Theaterbegriff der Schüler:innen in seinen Theatergruppen an den Schulen.

Im Rahmen des Projekts „Theater-Ja!“ kommen Bremerhavener Schüler:innen in den Genuss eines theaterpädagogischen Angebots an ihrer Schule, umgesetzt vom Team des Jungen Theaters Bremerhaven. Was genau passiert an den Schulen?

Bianca Sue Henne: Es gibt zwei Theaterpädagog:innen bei uns im Team, die an fünf Tagen im Bereich der Ganztagsschularbeit in den Schulen tätig sind. Sie sind in der Regel ein Halbjahr an einer Schule und wechseln dann zu einer anderen Schule oder Gruppe. Dadurch betreuen sie pro Schuljahr bis zu 20 Gruppen. Diese Zahl variiert ein wenig; so ist es bei manchen Gruppen zum Beispiel sinnvoll, zu zweit zu arbeiten. Die Idee zu dem Projekt kam aus dem Schulamt, denn es gibt hier viele freie Lehrer:innenstellen, die umgemünzt werden für Theaterfachkräfte. Diese sollen dann genau die Arbeit machen, die sonst die Lehrkräfte erfüllt hätten: Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Schule. Vornehmlich richtet sich das Angebot an Schulen, die ein Ganztagsangebot haben. Wenn noch Kapazitäten frei sind, können wir in dem Projekt auch Angebote an anderen Schulen umsetzen.

Florian von Zameck-Glyscinski: Die Schulen können sich bei uns für die Teilnahme bewerben, dabei werden Ideen der Schulen abgefragt und auch ob es bereits Theaterangebote an der Schule gibt. Anschließend erfragen wir die Bedarfe der Schulen. Daraus entstehen ganz unterschiedliche Angebote. Ich habe an einer Schule etwa eine Darstellendes-Spiel-Gruppe, für die Schüler:innen ist das Unterricht, an einer anderen Schule biete ich nachmittags eine Theater-AG an, an der die Schüler:innen freiwillig teilnehmen. An und für sich ist uns die freiwillige Teilnahme wichtiger, denn „Theater-Ja!“ ist ein Angebot, das den Schulalltag bereichert und die Kompetenzen der Schüler:innen stärkt, die sie sonst nicht so zeigen können. Ein Beispiel für diese Ganztagsangebote ist etwa die Musical-AG, die ich gerade zusammen mit einer Musik- und einer Sportlehrerin leite. Jede:r von uns bringt die eigene Fachlichkeit ein.

Bedarfe der Schulen mit der Theaterarbeit aufgreifen

Welche Rolle nehmen die Theaterpädagog:innen innerhalb der Schulgemeinschaft ein? Vergeben sie zum Beispiel auch Noten?

Florian von Zameck-Glyscinski: Genau diese Frage verhandele ich gerade an einer der beteiligten Schulen. Derzeit leite ich dort einen Kurs für Darstellendes Spiel gemeinsam mit einer Erzieherin. Da es für die Schüler:innen Unterricht ist, müssen nun Noten vergeben werden. Und nun wurde an mich diese Aufgabe herangetragen. Grundlegend ist es jedoch so, dass es in meiner Arbeit nicht darum geht, zu bewerten, damit ich die Schüler:innen mit dem, was ich ihnen anbiete, aus dem Leistungsdruck heraushole. Sie genießen es, sich kreativ auf der Bühne ausleben zu können und sich anders zu zeigen. Deshalb sehe ich mich in der Schulgemeinschaft am ehesten in der Rolle eines AG-Leiters. Ich gebe aber auch Workshops an den Schulen, so bekommen mehr Beteiligte aus der Schulgemeinschaft was von meiner Arbeit mit. Ich zeige den Schulen zudem, was es braucht, um Theaterangebote bei sich umzusetzen. Vor Kurzem habe ich etwa bewusst ein kleines, unaufwendiges Theaterprojekt an der Grundschule erarbeitet, um zum Nachahmen zu motivieren. Es sollte für das Kollegium sichtbar werden, dass es nicht immer ressourcenfressende große Aufführungen sein müssen. Das war wichtig für sie zu erfahren und sie wollen nun selber die Theater-AG im Anschluss leiten – eine tolle Wirkung meiner Arbeit dort. Ich schaue immer, was gibt es schon an der Schule und was kann ich dort mit meiner Arbeit unterstützen.

Bianca Sue Henne: Nachhaltigkeit zeigt sich in dem Projekt in vielen Facetten. Wir geben den Kindern grundlegend den Freiraum, in dem sie ihre Fantasie freisetzen können und wir führen sie an neue Grenzen. Das kann viel Gutes bei den Kindern auslösen. Manchmal braucht es dann zusätzlich den großen Bühnenmoment, der für sie unvergesslich sein wird. Bei anderen Gruppen liegt die Nachhaltigkeit dann eher in der Kontinuität, zum Beispiel, dass die Theaterarbeit an ihrer Schule von einer anderen Person weitergeführt wird. Wir haben nach den pandemiebedingten Schließungen bei den Grundschulkindern bemerkt, dass ein Großteil der schulischen Bildung – alles, was nicht Wissensvermittlung ist – auf der Strecke geblieben ist. Kompetenzen, die sie sonst im ersten Schuljahr erlangen: etwa es aushalten zu können, mit fremden Kindern in einem Raum zu sein, die sie sich nicht ausgesucht haben und die laut sind. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Konflikte zu bearbeiten. In einem Theaterprojekt werden diese wichtigen Kompetenzen vermittelt. Das ist ein nachhaltiger Effekt unserer Arbeit, die eben eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Prävention gelingt durch eine langfristige Theaterarbeit an den Schulen. Indem die Kinder einen künstlerischen Ausdruck für die eigenen Emotionen und für die eigene Fantasie finden sowie sich in der Gruppe auf eine gemeinsame Sprache dafür einigen, erwerben sie Kompetenzen, die für die Schule unglaublich wichtig sind. Das ist es, was sie an unserer Arbeit schätzen.

Experimentelle Formate für die Präsentation der Schüler:innen

Treffen Sie die beteiligten Schüler:innen im Anschluss als Theaterpublikum wieder?

Bianca Sue Henne: Wir bringen zum Beispiel jede Gruppe aus dem Projekt mit einer Inszenierung an unserem Haus zusammen. Sie können sich dann auch eine Probe anschauen, wenn sie möchten, damit sie sehen, wie ein professionelles Theater arbeitet. Dabei ist aber die Publikumsbindung nicht das primäre Ziel, sondern der Prozess in der Arbeit mit den Theaterpädagog:innen, die durchaus experimentell ist. Es muss nicht immer eine Theaterproduktion entstehen; es kann auch eine Installation, ein Video-Audiowalk oder ein anderes Format am Ende stehen. Auch der Verzicht auf eine Präsentation ist möglich. Es gibt eben Dinge, die kann man nur im Tun verstehen. Dies trifft auf Theater zu.

Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Vorerfahrungen und Sozialisierungen der Kinder um?

Florian von Zameck-Glyscinski: In dem Projekt „Theater-Ja!“ sind Kinder aus der ganzen Stadt beteiligt. Viele von ihnen wissen noch nicht, was Theater ist und wie sie damit umgehen. Ich finde es angenehmer, wenn die Kinder offen sind und ich sie nicht so sehr von dem überzeugen muss, was ich mit ihnen machen möchte. Es ist im Gegenteil für mich eher hinderlich, wenn die Schüler:innen bereits einen klaren Theaterbegriff haben. Allerdings muss ich bei ihnen andersherum zunächst einmal den Druck rausnehmen und sie davon abbringen, dass sie mich überzeugen müssen. Ich nehme sie so, wie sie sind. Eine Rolle in der Arbeit mit den Schüler:innen spielen auch Verbindlichkeiten, also immer da zu sein, das mitbringen, was wir für die Theaterarbeit brauchen. Das ist in den Gruppen manchmal etwas schwierig, aber das übernehmen zum Glück die Lehrer:innen.

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