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Praxisinterview Niedersachsen

Vom Landesauftrag bis zur ländlichen Kulturförderung: Niedersachsens Akademien der kulturellen Bildung

Akademien kultureller Bildung schaffen Kulturangebote für junge und alte Menschen, bieten Fortbildungen an und leisten einen Beitrag zur kulturellen Bildung im Land Niedersachsen. Während die Landesmusikakademie in Wolfenbüttel landesweit wirkt, konzentriert sich die Arbeit der Ländlichen Akademie Krummhörn-Hinte auf die Menschen in der Region. Beiden ist daran gelegen, ihrem Bildungsauftrag durch unterschiedliche Angebote für kulturinteressierte Menschen nachzukommen.

Christine Becker-Schmidt ist seit 15 Jahren Geschäftsführerin der Ländlichen Akademie Krummhörn-Hinte e. V. (LAK) mit Sitz in Greetsiel. Sie führt selbst die Theaterprojekte der LAK mit den Menschen in der ostfriesischen Region Krummhörn durch. Mit ihrer Arbeit möchte sie Kunst und Kultur für alle in der Region erlebbar machen, ungeachtet der individuellen Vorkenntnisse. Jährlich wirken die unterschiedlichen Gruppen in einer großen Kulturveranstaltung zusammen.

Markus Lüdke ist als künstlerischer Geschäftsführer für den wirtschaftlichen Bereich und die inhaltlich programmatische Ausrichtung der Landesmusikakademie in Wolfenbüttel verantwortlich. Der Stadt ist er verbunden: Er war zuvor für die dort angesiedelte Bundeakademie für Kulturelle Bildung im Bereich Musik tätig, bevor er zu „Musikland Niedersachsen“ nach Hannover wechselte und anschließend nach Wolfenbüttel, weiterhin im Auftrag der Musikförderung, zurückkehrte.

Herr Lüdke, die Landesmusikakademie Niedersachsens ist in Wolfenbüttel beheimatet. Das Akademiegebäude bietet viele räumliche Möglichkeiten zum Musizieren und Musik erleben. Was sind die Kernaufgaben der Landesmusikakademie?

Markus Lüdke: Wir sind auf zwei Häuser aufgeteilt und gut ausgestattet mit Proben- und Arbeitsräumen sowie vielen Instrumentarien – also alles, was sich Musikschaffende wünschen. In Kombination mit dem städtischen Jugendgästehaus können wir bis zu 130 Jugendliche bei uns unterbringen, zum Beispiel das Landesjugendorchester. Wir haben einen landesweiten Auftrag, sind aber auch um die regionale Vernetzung bemüht, etwa mit den Einrichtungen der Stadt Wolfenbüttel und drum herum. Größtenteils ist der Aufenthalt der Menschen, die zu uns kommen, mit einer Übernachtung verbunden. In dem Fall ist eine Entschleunigung hier bei uns möglich, die Musizierenden können sich ganz auf die Musik konzentrieren. Wir sind eine Serviceeinrichtung und ein Beleghaus für die Musikszenen Niedersachsens und sind darauf bedacht, für alle Musikschaffenden etwas anzubieten. Wir pflegen regionale Partnerschaften und wir verstehen uns als Spielstätte, indem wir unsere Türen für Musikschaffende der Region öffnen. Ein großer Teil unserer Angebote richten sich an Jugendliche, in Form von Bildungsarbeit und Begabtenförderung. Es gibt hier zudem Fortbildungen für Lehrkräfte und Quereinsteiger:innen in das Lehramt, sogenannte Neigungslehrkräfte, im Fach Musik.

Bildungsarbeit durch Kulturangebote in ländlichen Räumen leisten

Von Wolfenbüttel in den Norden Niedersachsens: Frau Becker-Schmidt, hier gestalten Sie mit Ihren Kolleg:innen „Kultur vom Deich“. Die Ländliche Akademie Krummhörn-Hinte (LAK) liegt in Ostfriesland. An wen richtet sich das Angebot der LAK, Frau Becker-Schmidt?

Christine Becker-Schmidt: Das Angebot richtet sich an alle Menschen in der Region. Wir haben keine bestimmte Zielgruppe. Wir sind neben unseren Gruppen auch in den Schulen aktiv im Nachmittagsangebot. Die Gruppen der LAK-Mitglieder treffen sich zum Musizieren, zum Malen, zum Töpfern, zum Lesen und zum Theaterspielen. Die freien Projekte der LAK sind für alle Altersstufen offen. Bei uns gilt das Motto „Jeder kann mitmachen“. In Bezug auf die Theaterprojekte, die ich bei der LAK leite, schlägt sich das so nieder, dass ich ein Thema vorgebe und dann können sich alle melden, die daran interessiert sind und mitmachen möchten. Daraufhin schreibe ich ein Stück für die Leute, die dabei sein möchten. So kommt es dann zustande, dass manchmal 50 Menschen mitmachen, die ich unterbringen muss. Es ist immer ein Musikkorps dabei. Wir arbeiten zudem mit der Hochschule in Oldenburg zusammen, dadurch ergeben sich Kooperationen mit Studierenden. Und so entstehen richtig große Projekte bei uns.

Was ist Ihres Erachtens die wichtige Rolle der Akademien kultureller Bildung in der Kulturlandschaft des Landes Niedersachsen?

Markus Lüdke: Wenn wir die Arbeit der Landesmusikakademie betrachten, dann sind wir nicht der Alltag der kulturellen Bildung. Zu uns kommen Jugendliche und Schüler:innen, die ein gebündeltes Angebot wahrnehmen, anders als etwa eine wöchentliche Probe an einer Musikschule. Unser Haus gibt somit einer Arbeit, die woanders stattfindet, zusätzlich einen besonderen Rahmen. Hier können die Menschen sehr frei Musik machen, anders als womöglich in anderen Räumen ihres Alltags. Wir sind wie eine Insel, auf der man einer Leidenschaft nachgehen kann, die die jungen Menschen womöglich in der Schule nicht teilen können. Hier können sie das so richtig ausleben und auf Gleichgesinnte treffen. Unsere Arbeit sehe ich somit als begleitend und unterstützend. Gleichwohl sind wir sehr nah dran an der Musikszene in Niedersachsen und bekommen deren Bedarfe mit. Daraus ziehen wir dann auch die Aufträge für unsere zukünftige Arbeit.

Kulturelle Teilhabe niedrigschwellig herstellen

Christine Becker-Schmidt: Zu uns kommen die Menschen freiwillig. Das heißt, bei uns ist für die Mitwirkenden nicht der Bildungsauftrag entscheidend, der entsteht quasi durch die Hintertür. Für die Menschen muss der Spaß im Vordergrund stehen; dadurch gelingt es uns dann auch, sie an Themen heranzuführen, mit denen sie sich sonst wahrscheinlich weniger auseinandersetzen. Über die Teilnahme an einem Theaterprojekt und mit viel Gemeinsinn ist es machbar, ganz unterschiedliche Themen zu etablieren. Zum Beispiel haben wir zum Frauenwahlrecht gearbeitet. Das Spannende ist, wie sich diese Menschen dann in den Projekten entwickeln, welche Beziehung sie zu den Inhalten des Projekts eingehen. Sie setzen sich bei uns mit etwas auseinander, was sonst auf dem Dorf nicht stattfindet. Wir müssen es so organisieren, dass es Freude bringt und die Menschen dranbleiben. In dem Ganzen noch zu gewährleisten, dass alle etwas mitnehmen – das ist der Anspruch, den ich hier verfolge.

Markus Lüdke: Das Prinzip Freiwilligkeit ist für unsere Arbeit ganz entscheidend, dem stimme ich zu. Der Bildungsauftrag, so wie ich ihn verstehe, bedeutet zudem, dass wir allen Menschen kulturelle Angebote machen und Teilhabe am Kulturleben ermöglichen. Deswegen achten wir darauf, immer Musik in ihrer Vielfalt mitzudenken. Also nicht nur Klassik, sondern auch Begegnungen zwischen verschiedenen Musiktraditionen.

Christine Becker-Schmidt: Diesen Auftrag setzen wir auch in der LAK um. Wir bieten etwa Chöre und Musikgruppen für Menschen an, die keine Noten lesen können oder kaum Musikverständnis haben. Diese und ähnliche musikalische Angebote gibt es schon lange, um das musikalische Verständnis zu fördern. Dabei fragen wir uns hier immer wieder: Wie vermittele ich Kompetenzen und welche Voraussetzungen setze ich dafür? Wir haben uns entschieden, keine Voraussetzungen zu schaffen. Jeder, der möchte, darf mitmachen. Wir finden Möglichkeiten für jeden, sich mit Musik auszudrücken.

Musik in all ihren Erscheinungsformen einen Raum geben

Gibt es Zielgruppen, die Sie bisher in Ihrer Akademie vermissen, aber zukünftig dort antreffen möchten?

Christine Becker-Schmidt: In der Krummhörn leben wenig Menschen mit Migrationshintergrund. Das ist zwar in den Städten Emden und Norden der Fall, aber sie kommen nicht zu uns in die Krummhörn und in die LAK. Das ist bedauerlich, weil die Gestaltung des Zusammenlebens in Vielfalt so ein wichtiges Thema ist. Wir probieren es immer wieder, auch jetzt mit den Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind und nun hier in der Region leben. Ich möchte das wirklich von Herzen gerne herstellen.

Markus Lüdke: Ähnlich wie die LAK treibt uns auch dieses Thema um. Mit der Musikakademie verbunden ist eine Anlaufstelle für geflüchtete Musikschaffende. Daraus ergibt sich etwa die Frage, wie man mit Instrumenten umgeht, die hier schon bekannt, aber noch nicht in den Musikschulen angekommen sind. Das berührt auch Fragen der Professionalisierung, also wie Instrumentalpädagog:innen, die mit diesen Instrumenten vertraut sind, an den Musikschulen auch unterrichten können. In der Tat ist es zudem eine Herausforderung, Musik in all ihren Erscheinungsformen einen Raum zu geben. Musikschaffende sind nicht durchweg aus bürgerlichen Haushalten stammend und in einem Verein eingebunden. Dessen sind wir uns bewusst. Es gibt zwei Szenen, die bei uns im Haus vertreten sind: Profis und Amateure. Ich würde mir wünschen, dass diese häufiger in Veranstaltungen gemeinsam vertreten sind. Amateurmusik spielt in den ländlichen Räumen Niedersachsen häufig eine große Rolle. Die sind mit vielen Veranstaltungen bei uns am Haus, ebenso wie die Profis, etwa in Form von Festivals und freien Ensembles. Was ich zudem gerne umsetzen würde, sind Musikfreizeiten, bei denen unterschiedliche Generationen und Leistungsniveaus zusammenkommen und diese Unterschiede, etwa auch die Herkunft betreffend, eine geringe Rolle spielen, weil es vorrangig um das gemeinsame Musizieren geht.

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Architekturansichten

Kulturelle Bildung in Niedersachsen

Die kulturelle Bildungslandschaft in Niedersachsen ist geprägt von starken Institutionen, die die Qualitätsentwicklung in der kulturellen Bildung sichtbar machen. Das Land weist zudem ein dichtes Netz an Kultureinrichtungen und Schulen mit einem kulturellen Profil auf, die als Landmarken das Kulturangebot im Flächenland gestalten und bundesweit Impulse setzen.
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