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In Mecklenburg-Vorpommern schaffen engagierte Kulturakteur:innen und Schulen verlässliche Angebote kultureller Bildung.

Kulturelle Bildung in Mecklenburg-Vorpommern

Am 1. Juli 2022 blicken die Schüler:innen des Wahlpflichtkurses „Festival“ in dem kleinen Ort Kranitz sorgenvoll in den Himmel. Ausgerechnet heute bahnt sich ein Unwetter an, mitten in einem nicht enden wollenden Sommer mit wenigen Regentagen. Eine der gebuchten Bands möchte ihren Auftritt absagen, weil sie Sorge um ihr technisches Equipment haben. Monatelang haben die Jugendlichen an der Gestaltung der Bühne gearbeitet und nun soll ihr geplantes Festival „Baller bunt“ buchstäblich ins Wasser fallen. Zusammen mit Verantwortlichen des Veranstaltungsortes fällen die jungen Festivalmacher:innen die Entscheidung, mit vereinten Kräften alles in eine Halle auf dem Festivalgelände zu verlegen. Mit zwei Stunden Verspätung kann das Programm starten, dank des außerordentlichen Engagements der Schüler:innen. Ihren Lehrer Tim Evers haben sie damit nachhaltig beeindruckt: „Am Ende waren es die 15-Jährigen, die uns Erwachsene angetrieben haben, den Umbau durchzuziehen und das Festival so doch noch stattfinden zu lassen.“

Evers hat den Wahlpflichtkurs „Festival“ für die Jahrgänge 9 und 10 am Fritz-Greve-Gymnasium in Malchin geleitet und den Anstoß für das „Baller bunt“ gegeben. Seine Schüler:innen lernten von der Festivalidee bis zum Sicherheitskonzept alle Schritte bei der Planung und Durchführung eines Musikfestivals kennen. Lokale Festivalmacher:innen kamen in den Unterricht und berichteten von ihrer Motivation, die Menschen „auf dem platten Land“ zusammenzubringen und etwas auf die Beine zu stellen. In einer Gegend, in der nur wenige Kulturangebote existieren, stärken Initiativen wie diese das regionale Selbstbewusstsein. Bei „Baller bunt“ traten deshalb auch lokale Bands und Künstler:innen auf, die von den Schüler:innen eigenverantwortlich angefragt und gebucht wurden.

Für mehr kulturelle Bildung in den ländlichen Räumen

Ermöglicht wurde der Wahlpflichtkurs durch die Beteiligung am Landesprojekt Kultur.Land.Schule, einem Entwicklungsprogramm zur nachhaltigen Implementierung kultureller Bildung an den Schulen Mecklenburg-Vorpommerns. Mit der Förderung von Projekten wie dem von Schüler:innen organisierten Festival möchte die Landesregierung kulturelle Angebote besonders in ländlichen Räumen stärken. Ein Grund dafür ist, dass das Land mit 69 Einwohner:innen pro Quadratkilometer im bundesweiten Vergleich am dünnsten besiedelt ist. Würde man die hohe Zahl an Tourist:innen hinzuzählen, die die Ostseestrände und vielen Seen Mecklenburg-Vorpommerns besichtigen, sähe die Lage sicherlich anders aus. Abseits der touristischen Angebote und der Kulturszene in den Städten jedoch sind die Kulturfördermaßnahmen des Landes ein wichtiger Faktor zur Stärkung der Angebote in ländlichen Räumen, wie Bettina Martin, Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, betont: „Alle Bevölkerungsgruppen müssen Zugang zu kultureller Bildung haben. Denn sie befähigt Menschen, sich die vielfältige Welt von Kunst und Kultur zu erschließen und ist wichtig für die Persönlichkeitsbildung. Das ist gerade im ländlichen Raum nicht immer leicht. Deshalb legen wir in Mecklenburg-Vorpommern zusammen mit zahlreichen Initiativen und Vereinen dort unseren Schwerpunkt.“

Referenzschulen für kulturelle Bildung etablieren

Im Modellprojekt Kultur.Land.Schule werden Schulen gezielt gefördert und dabei begleitet, einen Kulturschwerpunkt zu entwickeln. Das Projekt ist durch die Stiftung Mercator mitfinanziert. Die teilnehmenden Schulen bekommen jeweils eine:n Kulturvermittler:in an die Seite gestellt zur Unterstützung beim Aufbau von Kooperationen mit Künstler:innen und Kultureinrichtungen und der Durchführung kultureller Angebote. Die Fachstelle Kulturelle Bildung in Rostock hat die Kulturvermittler:innen, erfahrene Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich, für ihre Tätigkeit an den Schulen ausgebildet. Gemeinsam mit der „Serviceagentur Ganztägig lernen“ in Waren, die die Projektschulen fachlich unterstützt, sind sie für die Durchführung des Landesprojekts verantwortlich. Ziel ist es, die beteiligten Schulen als Referenzschulen ins Land ausstrahlen zu lassen und weitere Bildungseinrichtungen dazu anzuregen, kulturelle Bildung im Schulalltag zu integrieren.

Eng damit verknüpft ist das Bestreben des Landes, Kitas und Schulen stärker als bisher nicht nur als Bildungsorte im engen Sinne zu verstehen. Sie sollen sich stattdessen als Lebensorte und damit auch als kulturelle Erlebnisorte etablieren, die junge Menschen ganz unabhängig von ihrer sozialen Herkunft mit Kunst und Kultur mit all ihren Facetten in Berührung bringen.

Vernetzung und Qualitätsentwicklung für kreative Partnerschaften

Um die Schulen bei dieser Entwicklung zu unterstützen und ihre Vernetzung mit außerschulischen Partner:innen zu fördern, stellen die Landeseinrichtungen weitere Angebote bereit, wie etwa den „Marktplatz Kultur und Schule“: Die Veranstaltung, durchgeführt von der Fachstelle Kulturelle Bildung, soll Lehrer:innen mit Kreativen zusammenbringen und Impulse für mehr künstlerisch-kreative Angebote in den Schulen setzen. Dazu wird mit der Vergabe eines Förderpreises die Bildung neuer Kooperationen angeregt. Zudem unterstützt die „Serviceagentur Ganztägig lernen“ bei der Anbahnung, Ausgestaltung und Optimierung von Partnerschaften zwischen Schulen und außerschulischen Kooperationspartner:innen. Das gilt auch und gerade im Bereich Kunst und Kultur – unter anderem durch die Bereitstellung einer landesweiten Datenbank mit Akteur:innen und Projektangeboten.

Mit ihren analogen und digitalen Vernetzungsplattformen haben sowohl die Fachstelle als auch die Serviceagentur Angebote entwickelt, die die Kontaktaufnahme zwischen Schulen und außerschulischen Partner:innen wie Künstler:innen und Kulturschaffenden erleichtert. Gerade im weitläufigen Flächenland Mecklenburg-Vorpommern wird dadurch die aufwendige Suche nach geeigneten Akteur:innen entscheidend verkürzt und vereinfacht.

Begleitet werden die Vernetzungsangebote durch Maßnahmen zur Qualifizierung und Qualitätsentwicklung. So bietet die „Serviceagentur Ganztägig lernen“ für außerschulische Kooperationspartner:innen Beratungen und Fortbildungen vor allem zum Thema Ganztag an. Für Lehrkräfte wird ein Fort- und Weiterbildungsangebot in Kooperation der Serviceagentur mit dem Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern bereitgestellt. Zudem besteht ein breites Informationsangebot, das interessierten Schulen Anregungen und Hilfestellung gibt, wie sie kulturelle Bildungsangebote umsetzen können. Auch die Ausbildung von Lehrkräften für das Fach Darstellendes Spiel wird in Mecklenburg-Vorpommern angeboten – als Bestandteil der Lehramtsausbildung, aber auch für quereinsteigende Lehrkräfte. Verantwortlich dafür ist die Hochschule für Musik und Tanz in Rostock.

Mit Auslaufen des Modellprojektes Kultur.Land.Schule werden die Erkenntnisse und Kooperationen, die Mecklenburg-Vorpommern in der kulturellen Bildung gewonnen hat, in einer zentralen Netzwerkstruktur verstetigt, zu der auch die Kulturvermittler:innen gehören. Ihre Aufgaben umfassen schulische sowie außerschulische kulturelle Vermittlungsarbeit. Die Netzwerkstruktur Kulturland M-V stärkt die Vernetzung der Kulturschaffenden im Land untereinander, aber auch zu anderen „Systemen“ wie Bildung oder Tourismus und Wirtschaft. Sie setzt einen Schwerpunkt auf Teilhabe und kulturellen Bildungsprozessen. Dazu gehört auch die Verstetigung von Fort- und Weiterbildungen der kulturellen Bildung im Land.

Kulturelle Bildung als kulturpolitische Leitlinie

Über die Hilfestellung bei der Vernetzung hinaus ist die Fachstelle Kulturelle Bildung auch verantwortlich für die Vergabe von Mitteln aus dem Projektförderfonds Kulturelle Bildung des Landes. Dieser wurde 2020 auf Grundlage der Kulturpolitischen Leitlinien eingerichtet, die in einem zweijährigen Prozess mit Beteiligten aus Kultur, Verwaltung und Politik partizipativ entwickelt wurden. Die Relevanz kultureller Bildung wird darin ausdrücklich betont: „Das Recht auf lebenslanges Lernen schließt die Kulturelle Bildung ein. Sie ist Bestandteil eines modernen Bildungsverständnisses, in dem kultur-, bildungs- und sozialpolitische Impulse zusammenfließen. Kulturelle Bildung gewährleistet den Zugang zu Kunst und Kultur sowie den Erwerb und die Entwicklung von kulturellen Fähigkeiten.“ Bei der Vergabe von Mitteln aus dem Förderfonds werden inklusive bzw. integrative Projekte, Vorhaben in den ländlichen Räumen sowie Projekte mit demokratieförderndem Ansatz besonders berücksichtigt.

Dritte Orte schaffen Zugänge und Teilhabe

Land und Kommunen bekennen sich zu der Verantwortung, für günstige Rahmenbedingungen zur Neugründung und Aufrechterhaltung von Kultureinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern zu sorgen. Als wichtige Landmarken der außerschulischen kulturellen Bildung sollen sich diese zu „Dritten Orten“ entwickeln: zu Anlaufstellen des kulturellen, sozialen und gesellschaftspolitischen Austauschs jenseits von Familie und Beruf bzw. Schulen. Auf diese Weise können Kulturangebote für die jungen Einwohner:innen Mecklenburg-Vorpommerns an für sie zugänglichen Orten gebündelt und lange Distanzen, die in ländlichen Räumen immer bestehen, überbrückt werden. Beispiele für solche Dritten Orte sind etwa die neun Jugendkunstschulen des Landes, die sich zu einem Landesverband zusammengeschlossen haben und vielfältige Angebote für Kinder ab fünf Jahren, aber auch für Erwachsene haben. Im Zuge der Verbandsarbeit arbeiten die Jugendkunstschulen auch an der Entwicklung nachhaltiger Qualitätsstandards, setzen fachliche Impulse und bieten Qualifizierungsangebote zur Professionalisierung der kulturpädagogischen Arbeit.

Mit dem Ineinandergreifen von bürokratiearmer Projektförderung, Vernetzung und Qualifizierung schafft Mecklenburg-Vorpommern die Voraussetzungen, um kulturelle Angebote zu sichern, auszubauen und qualitativ weiterzuentwickeln. Schulen und Dritte Orte werden dabei zu wichtigen Bezugspunkten und zentralen Anlaufstellen für den niedrigschwelligen Zugang zu kultureller Bildung.

Porträt Krischan Holm
Praxisinterview

Mit Theaterarbeit ein Gerüst bauen für die Förderung von Selbstwirksamkeit

Christian Holm über seine Theaterarbeit mit Jugendlichen in Greifswald
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