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Praxisinterview Mecklenburg-Vorpommern

Mit Theaterarbeit ein Gerüst bauen für die Förderung von Selbstwirksamkeit

Seine Inszenierungen mit Schüler:innen aus Greifswald wurden zu verschiedenen Jugendtheaterfestivals eingeladen: Christian Holm stand lange Zeit selber als Schauspieler auf verschiedenen Bühnen, ehe er sich der Theaterarbeit mit Jugendlichen widmete. Er besetzt Rollen gerne entgegen der Erwartungen von Lehrer:innen und Eltern und schreibt seine Stücke mit Unterstützung der Schüler:innen alle selbst.

Christian Holm ist Theaterpädagoge und ausgebildeter Schauspieler. Er realisiert seit mehr als zehn Jahren Theaterprojekte mit Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren an Schulen und Kultureinrichtungen in Greifswald. Anteilig unterrichtet er zudem das Fach Darstellendes Spiel an der Montessori-Schule in Greifswald. Seine Arbeiten wurden mehrfach eingeladen, etwa zum Theatertreffen der Jugend in Berlin.

Ihr Lebenslauf weist sehr unterschiedliche Qualifizierungen und Berufskontexte auf: Sie studierten zunächst Politikwissenschaft, trugen zwischenzeitlich Pakete aus und kamen dann zum Theater. Inwiefern bereichern diese Erfahrungen Ihre Arbeit?

Christian Holm: Wenn ich mit Schüler:innen arbeite, achte ich darauf, dass ich ihnen Lebenskunst mitgeben möchte. Es geht mir dabei darum, Sachen auch mal mit Humor aufzunehmen. Sicher benötigen wir in den Theaterprojekten auch eine Probendisziplin, aber Theater gibt auch die Möglichkeit, mal loszulassen und lockerzulassen. Das ist für mich wesentlich, die Schüler:innen mal aus dem engen Schulkorsett rauszuholen. Da hilft einem eine vielfältige Lebenserfahrung weiter. Für mich ist der Bildungsauftrag nicht vordergründig, auch wenn der in meinen Projekten sicherlich zum Tragen kommt. Mir ist es wichtig, in der Gruppe auch mal Sachen zu machen, die etwas frech sind und laut sein dürfen.

Sie haben viele erfolgreiche Theaterprojekte mit Schüler:innen erarbeitet. Ihre Inszenierung "Moby Dick" wurde 2019 zum Beispiel zum Schultheater der Länder eingeladen. Was zeichnet Ihre Arbeitsweise in diesen Projekten aus?

Christian Holm: Das Theater, das ich mit ihnen mache, ist sehr vielfältig und abwechslungsreich und es ist humoristisch. Jugendtheater ist für meinen Geschmack meistens zu ernst, es geht häufig um einen pädagogischen Zweck und damit verbundene Themen wie Drogen und Mobbing. Jugendliche haben einen eigenen Humor und das bringe ich in meine Arbeit ein. Zudem zeichnen sich meine Projekte durch Tempo, Lebendigkeit und Abwechslungsreichtum aus. Theater darf in meinen Augen nicht langweilig sein. Zudem schlage ich mich in meinen Stücken auf die Seite der Jugendlichen. Meistens kommen Erwachsene und Lehrer:innen darin nicht so gut weg. In meiner letzten Arbeit zu der mythologischen Figur Odysseus sind die Götter die Erwachsenen. Odysseus möchte in dem Stück die Dinge eigenständig angehen, er möchte etwa seine Himmelsreise alleine machen. Die Götter sind dann eher diejenigen, die sich nicht so gut auskennen, Odysseus hingegen weiß genug, um seine Herausforderungen selbstbestimmt zu meistern. Auch dieses Stück schreibe ich selbst, so wie auch alle anderen Stücke. Für mich sind die meisten Theaterstücke für junge Menschen, die ich gelesen habe, zu ernst. Und deswegen habe ich selber angefangen, Stücke zu schreiben.

Herausforderungen auf der Bühne annehmen, die die Jugendlichen auch bewältigen können

Warum haben Sie sich dafür entschieden, Theater mit Schüler:innen zu machen?

Christian Holm: Das war eher eine Möglichkeit, die sich mir geboten hat, nachdem mein Engagement am Stadttheater aufgrund eines Intendantenwechsels beendet war. Ich fand aber auch die Arbeitsbedingungen am Theater nicht ideal für mein Familienleben und wollte raus aus dem Theaterbetrieb. Zudem hörte ich immer wieder die Kritik „Du sollst spielen und nicht Regie führen“, denn ich hatte mir während der Proben mehr Gedanken zu der Inszenierung gemacht, die über meine Rolle hinausgingen.

An der Arbeit interessiert mich das Unfertige der Jugendlichen in Bezug auf die Entwicklung des Körpers und der Persönlichkeit. Am Anfang eines Projekts trauen sich viele von ihnen nichts auf der Bühne zu und nach einem halben Jahr stehen sie selbstbewusst vor Publikum. Sie sind immer noch unfertig, aber sie stehen als sie selbst da vorne. Ich finde es unglaublich bereichernd, ihnen das Gefühl zu geben, dass es okay ist, wie sie sind. Zu Beginn frage ich die Jugendlichen, was sie gut können und was sie gerne machen möchten. Niemand muss in meinen Projekten etwas machen, was er:sie nicht kann. Ich schreibe ihnen die Stücke quasi auf den Leib, soweit das bei 26 Schüler:innen möglich ist. Am Ende sollen alle ein gutes Erlebnis auf der Bühne haben. Meine Aufgabe ist es, ihnen ein Gerüst zu bauen, sodass sie sich auf der Bühne wohlfühlen. Das ist unglaublich bereichernd.

Rollen entgegen der Erwartungen von Lehrer:innen und Eltern besetzen

Wie entwickeln Sie das Thema für die Projekte und welche Rolle spielen dabei die Schüler:innen?

Christian Holm: Ich gehe da unterschiedlich vor, der Findungsprozess hängt davon ab, wie die Gruppe drauf ist. Am Anfang versuche ich herauszufinden, was die Jugendlichen selber interessiert. In der Regel bringe ich zwei bis drei Ideen mit und lasse sie in Improvisationen dazu arbeiten. Das, was ich mitbringe, interessiert mich in der Regel auch. Dann schaue ich, zu welchen dieser Themen sie tatsächlich arbeiten wollen. Es gab aber auch schon Projekte, bei denen junge Menschen mit einem spezifischen Thema, das sie gerne bearbeiten wollten, auf mich zugegangen sind. Beim Schreiben der Stücke hole ich dann immer wieder Ideen von den Jugendlichen ein. Ich frage dann zum Beispiel, was ihre Eltern für Zweifel äußern, wenn sie auf eine Party gehen wollen. Mit diesen Äußerungen baue ich zum Beispiel einen Text für einen Sprechchor im Stück.

Wenn Sie Ihren Arbeitskontext betrachten und auch an die Arbeit von Kolleg:innen denken: Wie nehmen Sie den Stellenwert von Diversität und Gleichberechtigung in der kulturellen Bildung wahr?

Christian Holm: Die Region, in der ich lebe und arbeite, ist kulturell nicht besonders divers, dementsprechend sind es auch nicht die Jugendgruppen und Schulklassen, mit denen ich arbeite. Gleichberechtigung ist in meiner Arbeit sehr zentral. Ich finde es gut, wenn Mädchen klassische Männerrollen spielen, gerade wenn diese starke Spieler:innen sind. Ich arbeite generell gerne so, dass die Rollen etwas anders besetzt werden, als es erwartet wird. Ich bemerke in Schüleraufführungen häufig eine bestimmte Erwartungshaltung von Lehrer:innen und Eltern. Eine Rolle wird mit einem privaten Charakterzug abgeglichen und mit „Das passt zu ihm oder ihr“ kommentiert. Da habe ich den Eindruck, das ist eher gegen den:die Schüler:in gerichtet, als ob sie bei etwas ertappt werden. Wenn eine Rolle entgegen der Erwartungen von außen eine Herausforderung für die Schüler:innen ist, die sie bewältigen können, dann machen wir das genau so. Ich achte zudem sehr darauf, starke Frauenrollen in meinen Stücken zu haben. An den meisten Theatern sind die leider rar, das ödet mich an. Viele Mädchen trauen sich aufgrund ihrer Erziehung zudem nicht, laut zu werden und ich versuche, sie mithilfe von Theaterübungen dazu zu ermutigen.

Personenunabhängige Strukturen schaffen für mehr Kooperationen mit Künstler:innen

Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die kulturelle Bildung in Ihrer Region?

Christian Holm: Die Rahmenbedingungen für die Kulturarbeit mit Jugendlichen sind nicht ideal, weil kaum Lobbyarbeit dafür stattfindet. Allerdings entdecken immer mehr Schulen den pädagogischen Mehrwert von kultureller Bildung. Sie verstehen, dass es einer Klasse guttun kann und den Jugendlichen einen Entwicklungsschritt ermöglicht. Leider sind Kooperationen mit Schulen personenabhängig: Eine Person, meist ein:e Lehrer:in an der Schule, ist engagiert und setzt sich dafür ein, mit mir zusammenzuarbeiten. Wenn diese Person dann aus verschiedenen Gründen die Schule verlässt, schläft meistens leider auch die Zusammenarbeit mit der Schule ein. Die personenunabhängigen Strukturen zu schaffen, ist in der Praxis wirklich sehr schwer. Es fehlen etwa die Kapazitäten bei anderen Lehrkräften und weitere dafür erforderliche Unterstützungsstrukturen.

Was benötigen Sie für die Zukunft, um Ihre Arbeit noch besser machen zu können?

Christian Holm: Ich benötige noch mehr Kolleg:innen, die eine ähnliche Arbeit machen wie ich. Ich mache gerne Projekte zu zweit und da fehlen mir Ansprechpartner:innen hier vor Ort. Wir sind insgesamt zu wenige Kulturschaffende, die mit Jugendlichen arbeiten hier in der Region. Zudem wünsche ich mir einen leichteren Zugang zu Fördergeldern. Ich habe viele Jugendliche, die gerne regelmäßig Theater in einer freien Gruppe spielen möchten. Ich bin immer dabei, Fördergelder aufzutreiben, um diesem Bedarf nachzukommen. Es wäre fantastisch, eine halbe Stelle oder einen kommunalen Fördertopf zu haben, um durchgehend freie Theaterangebote mit Jugendlichen in Greifswald zu machen.

Schweriner Schlossinnenhof von oben

Kulturelle Bildung in Mecklenburg-Vorpommern

Das Flächenland ist geprägt von ländlichen Räumen, die lange Wege im Alltag bedeuten. Durch digitale Vernetzungsangebote und die Bündelung von Programmen in Schulen als Kulturorten wird dies überbrückt. Außerschulisch entwickeln sich die Kulturorte des Landes zu Dritten Orten, die Anlaufstellen des kulturellen, sozialen und gesellschaftspolitischen Austauschs sind.
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