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Praxisinterview Nordrhein-Westfalen

kubia leistet Pionierarbeit in der Stärkung des kulturellen Bildungsangebots für Ältere und Menschen mit Behinderung

Die Kulturpolitik in NRW bekennt sich zu Diversität und Inklusion. Um eine lebendige Kulturszene zu stärken, die Angebote für ältere Menschen und Erwachsene mit Behinderung schafft, vernetzt das Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur (kubia) die Akteur:innen dieser Szene, berät Kultureinrichtungen und bietet Weiterbildungen zur Gestaltung von geeigneten Kulturangeboten an.

Almuth Fricke ist Leiterin des Kompetenzzentrums für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur (kubia). Sie hat kubia 2008 mitgegründet und ist seitdem eine der ersten Ansprechpartner:innen zur Qualität und Vernetzung von Angeboten kultureller Bildung für die ältere Generation in Nordrhein-Westfalen. Als Herausgeberin des kubia-Magazins „Kulturräume+“ engagiert sie sich zudem für den Wissenstransfer in dem Themengebiet.

Isabell Rosenberg ist für den Themenbereich „Inklusive Kultur“ bei kubia zuständig. Sie bietet Beratung zur Barrierefreiheit und zur Inklusion von Menschen mit Behinderung im Kulturbereich an. Sie will vor allem helfen, Berührungsängste abzubauen, damit mehr Kulturangebote für und mit Menschen mit Behinderung entstehen.

kubia ist das Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur. Beschreiben Sie bitte, was Sie dort genau machen.

Almuth Fricke: Unsere Tätigkeit richtet sich an Kulturvermittler:innen und an Menschen, die in der kulturellen Bildung tätig sind. Aber auch Fachkräfte in der Erwachsenenbildung, sozialen Arbeit und der Alten- sowie Behindertenhilfe gehören zu unseren Ansprechpartner:innen. Unser Ziel ist es, Kulturangebote zu schaffen, die dem demografischen Wandel gerecht werden, das bedeutet: altersoffene Kulturangebote, die die Interessen, Bedürfnisse und Potenziale von Älteren berücksichtigen. Wir setzen uns für späte Bildungsmöglichkeiten ein, denn es gibt viele ältere Menschen, die in ihrer Jugend und dem weiteren Erwachsenenleben aufgrund der damaligen Gegebenheiten und Lebensumstände wenig Gelegenheiten hatten, sich kulturell zu bilden. Im Ruhestand gibt es dann eine Chance, sich neu oder wieder damit zu befassen. Allerdings gab es zum Zeitpunkt der Gründung von kubia nur wenig Angebote für Ältere. Deswegen bieten wir Weiterbildungen zur kulturellen Bildung im Alter an, um dazu beizutragen, dass mehr solche Angebote entstehen. Von Anfang an tun wir das auch unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen, die ältere Menschen haben können. So ist das Thema Behinderung zu unserer Arbeit hinzugekommen, denn der überwiegende Teil der Menschen mit Behinderung sind ältere Menschen. Zwischen diesen beiden Diversitätskategorien Behinderung und Alter gibt es deshalb viele intersektionale Verschränkungen. Weitere Schwerpunkte unserer Arbeit sind Beratung und Vernetzung. Dies beinhaltet auch den Wissenstransfer etwa in Form unseres Magazins. Wir vergeben außerdem Kulturfördermittel des Landes aus dem Fonds „Kulturelle Bildung im Alter“ und beteiligen uns an der Forschung zu diesem Thema.

Isabell Rosenberg: Für viele Menschen mit Behinderung bestehen noch immer keine gleichwertigen Zugänge zu Angeboten und Ausbildungen im Kulturbereich. Punktuell öffnen sich künstlerische Hochschulen, jedoch noch nicht flächendeckend. Bei vielen Kulturbetrieben bestehen noch große Wissenslücken in Bezug auf die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderung. Meine Kolleg:innen und ich leisten Aufklärungsarbeit auch mit Blick auf Berührungsängste. Ich setze darauf, dass die Ratsuchenden ermutigt aus unseren Beratungen herausgehen und dann Dinge umsetzen, die sie sich zuvor nicht zugetraut haben, weil sie ihnen nicht machbar schienen. Dabei bin ich oft in einer Doppelrolle unterwegs: als Mitarbeiterin von kubia und als Kulturnutzerin mit Behinderung. Da ich aufgrund einer angeborenen körperlichen Behinderung im Rollstuhl sitze, kann ich die Perspektive einer Rollstuhlnutzerin in meine Arbeit einbringen.

Das kulturpolitische Bekenntnis zu Inklusion stärkt die Kulturszene

Viele Angebote der kulturellen Bildung richten sich an Kinder und Jugendliche. Wie schätzen Sie den Stellenwert kultureller Bildung für ältere Menschen und Menschen mit Behinderung in NRW ein?

Almuth Fricke: Mit der dauerhaften Förderung von kubia hat das Kulturministerium hier in NRW Pionierarbeit geleistet. Dadurch wurde das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Angebote geschärft. Es gibt beispielsweise viele Angebote von Museen und Konzerthäusern, die sich auf unsere Initiative hin für Menschen mit Demenz geöffnet haben. Im Musikbereich haben sich viele Musikschulen stärker älteren Erwachsenen geöffnet. Durch das Bekenntnis der Kulturpolitik zur Inklusion wurde auch die Theaterszene in ihrem Engagement für ältere Menschen ermutigt. Das ist eine sehr vielfältige und lebendige Szene. Inzwischen gibt es um die 100 Tanz- und Theaterensembles mit Älteren in NRW, die wir miteinander vernetzen. Es ist mittlerweile ganz klar, dass in den Konzepten zur kulturellen Bildung des Landes das Thema Alter mitgedacht wird.

Isabell Rosenberg: Ich vertrete den Standpunkt, dass kulturelle Bildung nicht nach der Schule aufhören sollte. Es wird – zu Recht – einiges für die kulturelle Teilhabe von Kita- und Schulkindern mit Behinderung getan. Bei den Erwachsenen sind wir leider noch nicht so weit, gerade im Freizeit- und Kulturbereich. Deswegen unterstützen wir die Entwicklung der kulturellen Bildung für Erwachsene mit und ohne Behinderung. In NRW hat sich da schon eine Menge getan: Immer mehr Schauspielhäuser sind offen für inklusive Projekte und es gibt erste Ausbildungsmöglichkeiten für Schauspieler:innen mit Behinderung. Es ist in den letzten Jahren ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Menschen mit Behinderung nicht nur versorgt und aufbewahrt werden wollen, sondern auch aktiv am kulturellen Leben teilhaben möchten. Nicht nur als Publikum vor, sondern zum Beispiel auch als Darsteller:innen auf der Bühne. Wenn sich Kunst und Kultur für Menschen mit Behinderung öffnen, können diese lernen, dass Behinderung nur ein Teil ihrer Identität und nicht das alleinige identitätsstiftende Merkmal ist. Die Teilnahme an Projekten der kulturellen Bildung kann bewirken, dass sie sich etwa als Künstler:innen wahrnehmen und die Behinderung nicht mehr im Fokus steht.

Angebote für alle schaffen statt „Sonder-Angebote“ für Menschen mit Behinderung

Was zeichnet Ihres Erachtens besonders gelungene Angebote der kulturellen Bildung für Menschen mit Behinderung aus?

Isabell Rosenberg: Kulturelle Angebote für Menschen mit Behinderung sind besonders dann gelungen, wenn sie nicht ausschließlich für Menschen mit Behinderung konzipiert sind. „Sonder-Angebote“ zu schaffen, hat nichts mit Inklusion zu tun. Es geht darum, dass alle gleichberechtigt mitmachen, ihre Fähigkeiten einbringen und voneinander lernen können.

Wo sehen Sie mögliche Stolpersteine für die Arbeit von kubia?

Almuth Fricke: Es geht viel darum, welche Bilder wir in den Köpfen haben und es geht viel um Berührungsängste. Beim Begriff Inklusion schrecken die meisten zurück und sagen, dass es ihnen zu teuer sei. Altersbilder sind vielfach negativ konnotiert. Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kulturarbeit werden in der kulturpädagogischen Ausbildung und der sozialen Arbeit oft ausgespart. Kultur wird im sozialen Bereich vor allem als Freizeitbeschäftigung betrachtet, der Fokus liegt dabei auf der Beschäftigung. Eine Ursache dafür ist die mangelnde Kooperation zwischen sozialer Arbeit und Kultur. Ich beobachte ein generelles Misstrauen zwischen beiden Bereichen. Mich hat die Herangehensweise der Stadt Helsinki beeindruckt: Dort gibt es in der Kulturverwaltung eine Person, die anteilig von der Kultur- und der Sozialabteilung bezahlt wird. Diese entwickelt kulturelle Angebote für ältere Menschen unter Bündelung der Ressourcen beider Bereiche. Das wäre auch für uns hier sehr zielführend.

Diejenigen, die es betrifft, stärker beteiligen bei der Gestaltung von Kulturangeboten

Haben Sie das Gefühl, dass sich das Arbeitsfeld der kulturellen Bildung in den letzten Jahren verändert hat? Wie äußert sich diese Veränderung?

Almuth Fricke: In den letzten 20 Jahren ist das Thema kulturelle Bildung im Land angekommen. Das war lange nicht der Fall. Inzwischen ist es Normalität, dass an den Theatern Theaterpädagog:innen arbeiten, dass es Musik- und Museumsvermittlung gibt. Alter und Behinderung werden zeitversetzt als wichtige Themen anerkannt. Man merkt, dass diese allmählich in den Verbänden und den Ausbildungsgängen ankommen. Zum Beispiel gibt es seit 2011 den Zertifikatskurs Kulturgeragogik, den wir mit der Fachhochschule Münster ins Leben gerufen haben. Daraus ist mittlerweile eine Vielzahl professioneller Kulturvermittler:innen mit einer Zusatzausbildung hervorgegangen. Sie verändern die Praxis im positiven Sinn. Ich denke, wir haben viel dazu beigetragen, dass gute Praxis aus NRW und dem internationalen Kontext sichtbar geworden ist. kubia ist für viele eine Inspirationsquelle, und das hat Auswirkungen aufs Arbeitsfeld.

Isabell Rosenberg: Es hat eine Professionalisierung stattgefunden. Es gibt mittlerweile ein Bewusstsein dafür, dass eine zeitgemäße kulturelle Bildung bedeutet, gleichwertige Zugänge unabhängig von Behinderung und Alter zu erschaffen. Was ich mir jedoch noch wünsche, ist eine stärkere Beteiligung derjenigen, die es betrifft. So können eigene Interessen, Bedürfnisse und auch Expertise zum Beispiel in Bezug auf eine eigene Behinderung bei der Gestaltung der Angebote mit einbezogen und Möglichkeitsräume geschaffen werden. Weitere Informationen: www.kubia.nrw

Düsseldorf von oben

Kulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen wird intensiv daran gearbeitet, kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe von der frühen Kindheit bis ins Alter, also über die gesamte Lebensspanne hinweg, zu ermöglichen und sie zugleich als selbstverständlichen Bestandteil in kommunalen Bildungslandschaften zu verankern.
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