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Kulturelle Bildung ein Leben lang

Kulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen

In Gelsenkirchen-Bulmke, auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenwerks „Schalker Verein“, wird in naher Zukunft eine neue Schule mit kulturellem Profil den Betrieb aufnehmen. Der Entwurf für die neue Schule sieht unter anderem einen „Kulturboulevard“ vor, der die Kunst- und Musikräume wie auch die Räume für den Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern beherbergt. Er öffnet sich zu einem Platz vor der Schule, der auch von außen Einblick in das kreative Arbeiten der Schüler:innen ermöglicht. Für die Planung dieses Gesamtensembles hat die Stadt wissenschaftliche Expertise zu Schulbau und Prozessen kultureller Schulentwicklung eingeholt und die Industriegeschichte des Ortes einbezogen: Ein denkmalgeschützter Gebäudeteil, das ehemalige Schalthaus, sowie bestehende Strukturen am Ort werden in den neuen Schulbau integriert.

Dieses Vorgehen ist typisch für eine Region im Strukturwandel: Relikte aus der Ära von Kohle und Stahl werden bewusst als Baudenkmäler erhalten und für neue – oftmals kulturelle – Nutzungen erschlossen. Längst sind diese Orte der Industriekultur nicht nur fester Bestandteil, sondern auch Charakteristikum der Kulturlandschaft des Reviers. Dass Schulen dabei auch als Teil kultureller Infrastruktur gedacht und geplant werden, zeigen die Überlegungen für die Aula der neuen Kulturschule. Diese soll nach Schulschluss auch Kulturakteur:innen aus Stadt und Region zur Verfügung stehen und damit das Angebot zur kulturellen Teilhabe erweitern.

In Nordrhein-Westfalen werden jährlich neue Schulen gegründet – zum einen vor dem Hintergrund steigender Geburtenzahlen, zum anderen auch aufgrund eines vor allem migrationsbedingten Zuzuges von Kindern und Jugendlichen. In Nordrhein-Westfalen hatten im Jahr 2022 fast 43 Prozent der Schüler:innen eine Zuwanderungsgeschichte. Mit 55,4 Prozent ist der Anteil in Gelsenkirchen landesweit am höchsten. In der Stadt sind Menschen aus 130 Nationen zu Hause. Zugleich leben viele Familien unter herausfordernden Bedingungen; gut die Hälfte der Kinder und Jugendlichen wächst in Armut auf. Aber auch vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen wird Vielfalt nicht als Problem, sondern als Bereicherung und als Chance für die Zukunft verstanden.

Neben Gelsenkirchen werden auch in anderen Teilen Nordrhein-Westfalens Konzepte kultureller Bildung regionsspezifisch und innovativ umgesetzt. Die Stadt Minden etwa etabliert kulturelle Bildung entlang der gesamten Bildungskette und nimmt dabei die Lebensspanne im Übergang von der Kita zur Schule bis ins junge Erwachsenenalter in den Blick. Dabei finden regional spezifische Formate wie etwa die „Kulturzwerge“, das kommunale Chorprojekt „Minden singt!“ oder das Projekt „Community Dance“ ebenso einen festen Platz in der Bildungskette der Kinder und Jugendlichen wie erfolgreiche Bundes- und Landesprogramme. Auf diese Weise wird kulturelle Bildung eine Konstante, die Heranwachsende auf ihrem Lebensweg durchgehend begleitet.

Auch auf struktureller Ebene arbeiten in Minden Expert:innen mit dem Arbeitskreis „Schul-Tur“ an der kommunalen Vernetzung dieser Programme und an der Gestaltung der Übergänge. Regelmäßig treffen sich Vertreter:innen der Kulturinstitutionen, koordinierende Lehrkräfte aller Schulformen, Mitarbeiter:innen der Offenen Ganztagsträger sowie Schulsozialarbeiter:innen unter Koordination des Kulturbüros und bilden ein stabiles Netzwerk im Arbeitsfeld kultureller Bildung.

Kulturelle Bildung schafft Freiräume und sensibilisiert für Vieldeutigkeit

Das Land versteht kulturelle Bildung als festen und unverzichtbaren Bestandteil von Allgemeinbildung. Das ist in der Broschüre Kunst bewegen – Kultur teilen. Kulturelle Bildung in der Landeskulturförderung des Landes Nordrhein-Westfalen festgehalten. So werden ästhetische Lernzugänge gleichberechtigt neben anderen Zugängen gesehen und kulturelle Bildung als wichtig für die Schaffung von Freiräumen für das Experimentieren und Erproben verstanden. Kinder, Jugendliche und Erwachsene lernen im Kontext kultureller Bildung genauer hinzuschauen, hinzuhören, körperlich zu spüren, nachzufragen, zu staunen, andere und – zunächst oft ungewohnte – Perspektiven einzunehmen.

Neben der Förderung von Persönlichkeitsentwicklung und sozialen Kompetenzen wird in Nordrhein-Westfalen auch die gesellschaftliche Dimension kultureller Bildung explizit betont. Indem kulturelle Bildung auch die Uneindeutigkeit von Kunst pädagogisch inszeniert, sensibilisiert sie für Vieldeutigkeit und lässt Irritationen zu. In der Einübung von Diskursen und Kontroversen liegt gerade auch in der Wahrnehmung, Aushandlung und Gestaltung von Vieldeutigkeit ein wesentlicher Grundstein demokratischen Handelns.

Eine langfristige Perspektive: Kulturelle Bildung und lebenslanges Lernen

Nordrhein-Westfalen stellt die Auseinandersetzung mit den Künsten in den Mittelpunkt von Angeboten und Aktivitäten der kulturellen Bildung. Kooperationen von Künstler:innen beziehungsweise Kulturpartner:innen mit Bildungseinrichtungen werden daher ausdrücklich und intensiv gefördert. Eine Besonderheit in Nordrhein-Westfalen ist, dass solchen Kooperationsprogrammen ausdrücklich Ressourcen und Raum für eine langfristige Entwicklung gewährt werden. Kulturelle Bildung braucht Zeit. Es handelt sich um einen Prozess. Und Bildungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Daher legt Nordrhein-Westfalen seine Programme langfristig an.

Mit dem Förderprogramm Künstlerinnen und Künstler in die Kitas bekommen schon die Jüngsten Zugang zu kulturellen Angeboten. Das Projekt JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen wurde seit seinem Beginn 2007 im Kontext der Vorbereitung von Ruhr 2010 – Kulturhauptstadt Europas deutlich weiterentwickelt. Es ermöglicht Grundschulkindern, ein Instrument zu erlernen, zu tanzen oder zu singen. Im Rahmen des Programms Kultur und Schule werden Künstler:innen sowie Kultureinrichtungen gefördert, die künstlerische Projekte an Schulen umsetzen. Kindern und Jugendlichen soll damit unabhängig von ihrer Herkunft kulturelle Teilhabe durch die Begegnung und Zusammenarbeit mit Künstler:innen aller Sparten ermöglicht werden. Diese beiden großen Landesprogramme, für die 2023 mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung stehen, gibt es bereits seit 15 Jahren.

Zudem war Nordrhein-Westfalen mit seinem Landesprogramm Kreativpotentiale entfalten NRW auch Teil des von der Stiftung Mercator geförderten Programms und ist eingebunden in das damit verbundene länderübergreifende Netzwerk. Formate, die in diesem Kontext erfolgreich entstanden sind, werden in die Landesstrukturen überführt.

Für das Land hat die außerunterrichtliche Kinder- und Jugendkulturarbeit zugleich einen hohen Stellenwert in der Förderung junger Menschen. Zur Vernetzung der Angebotsvielfalt der kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen trägt der Kinder- und Jugendförderplan des Landes maßgeblich bei. Er ermöglicht es nicht nur, mit Projekten der kulturellen Bildung innovative Ansätze zu entwickeln und neue Zielgruppen zu gewinnen, er sichert auch die hohe Qualität der Arbeit der landeszentralen Träger der kulturellen Jugendarbeit und ihrer Untergliederungen. Als Ankerpunkt kultureller Bildungsangebote vor Ort spielen dabei auch die 60 landesgeförderten Jugendkunst- und Kreativitätsschulen eine besondere Rolle. Es ist also wenig überraschend, dass die Jugendkunst- und Kreativitätsschulen im nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendfördergesetz im Schwerpunktbereich kulturelle Jugendarbeit explizit als Fördergegenstand verankert sind.

Im außerschulischen Bereich hat sich in Nordrhein-Westfalen zudem der Kulturrucksack etabliert. Ziel des landesweiten Programms ist es, allen Kindern und Jugendlichen kostenlose oder deutlich kostenreduzierte kulturelle Angebote zu eröffnen. Sie richten sich an Jugendliche im Alter von zehn bis 14 Jahren und gewährleisten einen niedrigschwelligen Zugang zu Kulturangeboten. Darüber hinaus werden herausragende Kooperationsprojekte und -profile von Kultur-, Bildungs- und  Jugendeinrichtungen von der Landesregierung seit 2021 mit dem NRW Preis Kulturelle Bildung ausgezeichnet. 2022 wurde etwa die Kreativitätsschule Bergisch Gladbach e. V. in Kooperation mit dem Sozialen Netzwerk Bergisch Gladbach in der Kategorie „Jugend“ prämiert. Beide Einrichtungen haben mit PAULA einen offenen interkulturellen Treffpunkt geschaffen, der besonders geflüchtete Kinder und Jugendliche und den umliegenden Sozialraum anspricht. In der Kategorie "Schule" wurde die Anne-Frank-Gesamtschule in Dortmund in Kooperation mit dem Quartiersmanagement Nordstadt für ihr kulturelles Schulprofil ausgezeichnet. Im Bereich „Kultur“ erhielt die Stiftung Klavier-Festival Ruhr in Kooperation mit Schulen und Kindertageseinrichtungen in Duisburg-Marxloh die Ehrung.

Die Aktivitäten des Landes im Bereich kulturelle Bildung beziehen sich sowohl auf Kinder und Jugendliche als auch auf Erwachsene – ­­insbesondere im Rahmen der gemeinwohlorientierten Weiterbildung – und ganz explizit auch auf ältere Menschen. Das Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung im Alter und Inklusion kubia informiert als Fachforum und Serviceplattform über die Themenschwerpunkte Kulturgeragogik, kulturelle Bildung im Alter, inklusive Kulturarbeit, Förderung des Generationendialogs, Kunst und Kultur in der Pflege und bei Demenz, Stärkung des kulturellen Engagements Älterer, Kulturteilhabe älterer Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, internationale Trends und Forschung sowie über die Seniorentheaterszene in Nordrhein-Westfalen.

Landesweite Strukturen und Kompetenzzentren für die kulturelle Bildung

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen misst der kulturellen Bildung – insbesondere im Kontext der Kulturpolitik – eine zentrale Rolle bei und unterstützt die Herausbildung von Strukturen, um kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe als Teil des lebenslangen Lernens zu verankern. So werden bewusst langfristige Perspektiven für Angebote und Aktivitäten im Handlungsfeld angestrebt und damit Zeit für die Entwicklung und Etablierung unterstützender Strukturen gegeben.

Seit 2007 schreibt das Kulturressort (seit 2017: Ministerium für Kultur und Wissenschaft) jährlich den Wettbewerb Kommunale Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung aus und unterstützt durch die damit verbundene Förderung Städte, Kreise und Gemeinden dabei, kulturelle Bildung in ihren jeweiligen Strukturen und vor dem Hintergrund der orts- bzw. regionalspezifischen Bedarfe nachhaltig und strukturiert zu verankern und weiterzuentwickeln.

Die Vernetzung von Schulen und außerschulischen Einrichtungen wird durch Bildungspartner NRW, einer vertraglichen Zusammenarbeit des Ministeriums für Schule und Bildung Nordrhein-Westfalen und der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe, unterstützt.

Die Strukturbildung auf Landesebene ist durch eine enge Zusammenarbeit bei der Steuerung und Begleitung von Aktivitäten des Landes im Bereich kultureller Bildung und eine Bündelung von Kompetenzen über die Grenzen der unterschiedlichen Fachressorts hinweg gekennzeichnet. In einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Kulturelle Bildung“ arbeitet Fachpersonal insbesondere aus den für Jugend, Bildung und Kultur zuständigen Ministerien des Landes zusammen.

Ebenfalls ressortübergreifend getragen wird die Arbeitsstelle Kulturelle Bildung NRW als zentrale Service- und Umsetzungspartnerin in gemeinsamer Verantwortung des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI), des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB) sowie des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft (MKW). Die Arbeitsstelle in Remscheid berät und begleitet Kommunen, Schulen und Einrichtungen der Jugendarbeit dabei, kulturelle Bildungsangebote für alle Kinder und Jugendlichen zu entwickeln und diese auf kommunaler Ebene sinnvoll zu vernetzen. Eine nachhaltige, strukturelle Verankerung dieser Angebote steht dabei im Fokus.

Der Sitz der Arbeitsstelle ist dabei nicht zufällig gewählt, denn die Rechtsträgerschaft liegt bei der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen, in deren Räumlichkeiten die Arbeitsstelle untergebracht ist. Die Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW ist eine Fortbildungseinrichtung für Fachkräfte der Jugend-, Sozial-, Bildungs- und Kulturarbeit und bietet zahlreiche Kurse und Qualifizierungen im gesamten Themenspektrum der kulturellen Bildung wie etwa in den Fachdisziplinen Musik, Rhythmik, Tanz, Bildende Kunst oder Sozialpsychologie an. Darüber hinaus ist die Akademie ein wichtiges Kompetenzzentrum und Knotenpunkt für kulturelle Bildung in Deutschland.

Porträt Isabell Rosenberg
Praxisinterview

kubia leistet Pionierarbeit in der Stärkung des kulturellen Bildungsangebots für Ältere und Menschen mit Behinderung

Almuth Fricke und Isabell Rosenberg über die Arbeit von kubia und den Stellenwert von kultureller Bildung im Alter sowie inklusiver Kultur
Zum Interview